Liebe Leser,
liebe Gemeinde,
manchmal sieht man etwas,
das einem unmittelbar ins Herz geht,
das die Seele und das Gefühl auf ganz eigentümliche und tiefe Weise berührt.
So ging es mir,
als ich im September 2006 zu einer Veranstaltung ins Kloster Kirchberg musste.
Um was es dabei ging, weiß ich nicht mehr,
aber weil es ein wunderbarer Spätsommertag war,
ging ich im Anschluss noch etwas spazieren.
Hinter dem Friedhof fand ich dann diese Bank mit dem Ausblick auf die Burg Hohenzollern
(schwach am Horizont erkennbar, oberhalb des Apfelbaumes).
Ein Ort, der auf eigentümliche Weise Ruhe und Frieden austrahlte
und der mich darum zum Innehalten, Runterkommen und schließlich auch zum Beten einlud.
Zum Glück hatte ich eine DigiCam dabei
(erschwingliche Handys machten damals noch keine guten Bilder)
und so konnte ich diesen Eindruck für mich festhalten.
Eine Zeitlang gebrauchte ich dieses Bild auf meinem Computer sogar als Hintergrund.
Es sollte mich immer wieder daran erinnern,
wie schön die Schöpfung Gottes sein konnte
und wie sie unsere Herzen und Sinne erquickte,
wenn, ja wenn wir uns Zeit dafür nehmen.
Einen ganz anderen Eindruck hinterlässt leider unsere Zeit in unserem Leben.
Diese 2. Strophe des Liedes "Meine Zeit steht in deinen Händen" von Peter Strauch
beschreibt wie kaum ein anderes Lied in unserem Gesangbuch diese gegenteilige Erfahrung:
"Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb
nehmen mich gefangen, jagen mich.
Herr, ich rufe: Komm und mach mich frei!
Führe mich, Schritt für Schritt."
Wie empfinden uns allzu oft als Getriebene.
Höher, schneller, weiter, besser - das treibt uns an.
Das macht uns innerlich und äußerlich ruhe-los.
Wir sind die Ruhe los geworden.
Nicht nur,
dass das uns physisch und psychisch,
an Leib und Seele krank macht,
diese Ruhelosigkeit verhindert außerdem,
dass wir über uns und unser Leben nachdenken.
Macht diese hektische Betriebsamkeit überhaupt Sinn
und gibt es vielleicht nicht doch auch noch etwas Anderes, Wichtigereres?
Oder ist uns dieser Umtrieb vielleicht auch nur recht,
weil wir eben gerade nicht nachdenken wollen,
weil uns die Antworten möglicherweise nicht gefallen?
Manches im Leben lässt sich nicht im Lärm der hektischen Betriebsamkeit finden,
sondern braucht Zeit, Ruhe und Stille.
Dazu gehört sicher auch die Frage nach Gott
und damit eng verbunden die Frage nach Sinn und Ziel unseres Daseins.
Wir können Antworten finden,
wenn wir auf Gottes Wort hören oder darin lesen.
Und wir können mit Gott Verbindung aufnehmen,
indem wir zu ihm rufen und zu ihm beten.
Gott ist zwar auch in unserem Betrieb dabei,
keine Frage,
aber seine Stimme können wir meist nur dann vernehmen,
wenn wir still und ruhig werden,
wenn wir uns Zeit dafür nehmen.
Das Gleiche gilt übrigens für das Gebet.
Wenn es wirklich Sinn machen soll,
müssen wir innerlich und äußerlich zuerst runter kommen.
Dabei kann uns Gottes wunderbare Schöpfung helfen und vorbereiten.
"Ruhelos ist unser Herz,
bis es Ruhe findet in dir."
So wie dieses Bild mein Herz und Seele anrührte,
so rührten mich viele Jahre vorher noch während meiner Studienzeit diese Worte des Kirchenvaters Augustin (5.Jh. n.Chr.) in seinen "Bekenntnissen" an.
Diese Schrift war einerseits sein Lebensrückblick (modern: "Autobiographie"),
aber zugleich als ein großes Gebet formuliert.
Sein Leben war lange Zeit eine unruhige Suche nach Gott und dem Sinn des Daseins.
Alles, was es damals gab, probierte er aus.
Gleich zu Beginn seiner Gebets-Biographie stellte er jedoch klar,
wo er schließlich seinen Frieden, seine Ruhe gefunden hatte:
In dem Gott, den die Christen verehrten, in dem Gott des Bibel.
Danach wurde er zu einem der größten Kirchenväter,
der z.B. auch von Martin Luther und den Reformatoren hoch geschätzt wurde.
"Ruhelos ist unser Herz,
bis es Ruhe findet in dir"
kann sicher auch eine Antwort oder zumindest ein Hinweis für die Fragen der getriebenen und ruhelosen Menschen des 21. Jahrhunderts sein.
Wir können Ruhe für unser Herz und unsere Seele finden.
Es ist kein hoffnungsloses Unterfangen,
denn Gott will uns Ruhe schenken
und zu Ruhe kommen lassen,
hier in unserer hektischen Welt,
aber noch viel mehr in seiner Ewigkeit.
So heißt es im Hebräerbrief einmal (Hebr 4,19):
"Es ist ... eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes."
Bild und Wort sind im Laufe der Jahre bei mir immer mehr Vergessenheit geraten,
wurden durch andere Erfahrungen und Erlebnisse überlagert.
Aber nun haben sie sich wieder auf wundersame und im Grunde auch erscheckende Weise zurückgemeldet.
Das Stichwort ist in aller Munde: "Corona" oder "COVID-19"
Wir leben z.Z. in einer erzwungenen Ruhe,
in einer Art "Shutdown" fast aller Bereiche unseres Lebens,
um die Ansteckung durch das Virus zumindest zu verlangsamen.
Viele Arbeit muss liegen bleiben
und manche wissen kaum,
wie sie diese Ruhezeit überbrücken oder aushalten sollen.
Aber manche machen sich auch Gedanken,
ob in dieser erzwungene Ruhe eine Chance liegen könnte.
Wir haben plötzlich Zeit,
Zeit, um lange Liegengebliebenes endlich mal in Angriff zu nehmen,
Zeit, um sich mehr um seine Familie und Mitmenschen zu kümmern,
Zeit, um über das nachzudenken, was wirklich wichtig für unser Leben ist.
Inzwischen hat zumindest schon ein Umdenken in Bezug auf die Wichtigkeit und Bedeutung von bestimmten Berufen stattgefunden:
Menschen, die sich Zeit nehmen, um sich für andere einzusetzen,
die dabei oft ihr Leben riskieren, um zu helfen und zu pflegen,
werden nun in der Krise als "systemrelevant" erkannt,
während andere, eigentlich besser angesehene (und oft auch besser bezahlte!) in dieser Krisenzeit an Bedeutung verlieren.
Es ist zu hoffen,
dass diese Erkenntnis auch nach der Krise noch Bestand hat.
Doch nicht nur eine veränderte Wertschätzung von Berufen oder mitmenschlicher Tätigkeiten kann eine positive Auswirkung von Corona sein.
Es ist uns nun auch die Ruhe geschenkt,
uns mit dem Glauben und Gott intensiver zu beschäftigen.
Dabei befinden wir uns jedoch in der absurden Situation,
dass wir uns nicht mehr so einfach unter Gottes Wort und zum Gebet versammeln dürfen.
Genau das, was in früheren Krisenzeiten immer als Hilfe zur Verfügung stand,
das gemeinsame Hören und Beten im Gottesdienst,
ist uns jetzt auf diese dramatische Weise genommen.
Uns Kirchen sind in vielen wichtigen Arbeitsgebieten die Hände gebunden.
Sogar zentrale Feste des Kirchenjahres wie Karfreitag und Ostern fallen nun einfach aus.
Früher hatten wir vielleicht oft keine Zeit (und Ruhe),
den Gottesdienst zu besuchen.
Jetzt hätten wir die Zeit
und wären vielleicht auch froh daran,
aber nun dürfen wir es nicht.
Wahrscheinlich wäre keine Autor auf solch eine groteske Story gekommen,
wie sie jetzt die Wirklichkeit gerade schreibt.
Trotzdem gibt es natürlich Möglichkeiten,
die Ruhezeit auch in geistlicher Hinsicht zu nutzen.
Unsere Glocken und manchmal auch Posaunenklänge laden uns zum Gebet ein.
Gottesdienste sind übers Internet und über das Fernsehen zu empfangen.
Predigten kann man sich "herunterladen" und in der Familie lesen.
Bibellesen und beten kann jeder ja weiterhin auch für sich alleine tun.
Dazu braucht es keinen Pfarrer oder Theologen.
Nutzen wir wenigstens diese Möglichkeiten ausgiebig!
Corona
- nicht nur genommene Arbeits-Zeit,
sondern auch eine gewonnene Ruhe-Zeit,
die uns zur Segens-Zeit wird,
so dass das Gebet des Augustin auch (wieder) unser Gebet sein kann:
"Ruhelos ist unser Herz,
bis es Ruhe findet in dir."
Das wünsche ich Ihnen.
Amen
(Pfr. Roland Bühler, 02.04.2020)
Im Anschluss noch eine Geschichte über einen Unternehmensberater und einem Fischer:
Ein Unternehmensberater stand am Hafen eines kleinen italienischen Küstendorfes, als ein Boot mit nur einem Fischer an Bord andockte. In dem Boot lagen mehrere große Thunfische. Der Berater gratulierte dem Fischer zur Qualität seines Fangs und fragte, wie lange er gebraucht hätte, um sie zu fangen. "Nur eine kleine Weile, "erwiderte er. Daraufhin fragte der Berater: "Warum sind Sie nicht länger auf See geblieben und haben noch mehr Fische gefangen?" Der Fischer antwortete: "Weil ich damit mehr als genug habe, um meine Familie zu versorgen." Der Berater Fragte: "Aber was machen Sie mit dem Rest Ihrer Zeit?" Der Fischer erwiderte: "Ich schlafe lange, angle ein bisschen, spiele mit meinen Kindern, mache Siesta mit meiner Frau Maria, bummle abends ins Dorf, trinke eine Karaffe Wein und spiele Gitarre mit meinen Amici. Ich habe ein erfülltes und beschäftigtes Leben." Der Berater erwiderte: "Sie sollten mehr Zeit ins Fischen investieren und vom Erlös ein größeres Boot kaufen. Nach einer Weile könnten Sie dann wiederum aus dem Erlös mehrere Boote kaufen. Schließlich hätten Sie eine ganze Flotte an Fischerbooten. Statt Ihren Fang an einen Zwischenhändler zu verkaufen, sollten Sie direkt an den Verarbeitungsbetrieb verkaufen und schließlich sogar Ihre eigene Konservenfabrik eröffnen. So hätten Sie die Kontrolle über das Produkt, die Verarbeitung und die Vermarktung. Sie müssten natürlich dieses kleine Fischerdorf verlassen und in eine Großstadt ziehen, wo Sie Ihr ständig expandierendes Unternehmen führen würden." Der Fischer fragte: "Wie lange würde das alles dauern?" Der Berater antwortete: "15 bis 20 Jahre. Aber dann kommt ja erst das Beste: Zur passenden Zeit würden Sie an die Börse gehen und Ihre Aktien verkaufen und sehr, sehr reich werden. Sie würden Millionen verdienen." "Millionen?... Und dann?" Der Berater sagte: "Dann setzen Sie sich in einem kleinen Küstendorf zur Ruhe, wo Sie lange schlafen, ein wenig angeln, mit Ihren Enkeln spielen, mit Ihrer Frau Siesta machen, abends ins Dorf bummeln, Wein trinken und mit Ihren Freunden Gitarre spielen." "Aber das tue ich ja jetzt bereits!?"